„Dieses unmittelbare Helfen – das ist einfach toll“
Hessing-Notaufnahme hat ein neues Team für Notfälle

Gegen Ende 2019 hat sich das Team der Hessing- Notaufnahme neu aufgestellt. Chefarzt Dr. med. Oliver Herrmann und Ralf Niemann als pflegerische Leitung bilden das Leitungsteam der Notaufnahme. Das neue Führungsduo leitet 17 Mitarbeiter. Im Interview sprechen beide über die neue Struktur und über das, was die Notaufnahme der Hessing Kliniken ausmacht.

mehrbewegen: Im Herbst 2019 stellte sich Ihr Team neu auf. Wie kam es dazu?

Ralf Niemann: Viele Kollegen sind damals in Rente gegangen, andere haben sich beruflich umorientiert. Deshalb gab es einige Stellen neu zu besetzen. Ich selbst bin damals zufällig auf die Ausschreibung der Leitungsfunktion gestoßen und habe mich entschieden, nach 24 Jahren Notaufnahme aus dem Universitätsklinikum Augsburg (UKA) in die Hessing Kliniken zu wechseln. Im UKA war ich in den letzten acht Jahren stellvertretender Bereichsleiter der Zentralen Notaufnahme, der Notaufnahme Klinikum Süd und der Intensivstation im Klinikum Süd. Weitere Kollegen aus dem UKA haben sich mir angeschlossen und sind nun ebenfalls bei den Hessing Kliniken angestellt.

Dr. med. Oliver Herrmann: Das Ärzte-Team hat sich in seiner Zusammensetzung nicht verändert. Wir wollten aber ein neues, motiviertes und hochqualifiziertes Team aufbauen. Dies ist uns gelungen.

mehrbewegen: Was ist das besondere an Ihrem neuem
Team?

Niemann: Ein großer Teil des Teams kann bereits die neu eingeführte Fachweiterbildung Notfallpflege vorweisen. Das ist ein großes Plus. Mittlerweile besteht unser Notaufnahme-Team außerdem aus Gesundheits- und Krankenpflegern, Fachkrankenpflegern für die Notfallpflege sowie Anästhesie und Intensivpflege, mit entsprechender Zulassung der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Dazu kommt ein Praxisanleiter, ein Schmerzmediator und eine Mitarbeiterin mit der Zusatzqualifikation Fachkraft für Gips- und Verbandtechnik. Ab Oktober 2020 gehören zwei weitere Mitarbeiter zum Team.

Dr. Herrmann: Neben mir als Chefarzt und zwei Oberärzten gehören vier Assistenzärzte zum ärztlichen Team. Dabei sind im Tagesgeschäft zwischen zwei und drei Ärzte in der Notaufnahme im Einsatz. Im Nachtdienst wird die Notaufnahme von einem Arzt betreut. Was uns medizinisch auszeichnet ist, neben der hohen Spezialisierung in der Orthopädie-Unfallchirurgie, die Vernetzung mit den orthopädischen Fachdisziplinen im Haus. Dazu gehört, dass die Klinik für Wirbelsäulenchirurgie, unter der Leitung von Prof. Dr. med. Geiger, werktags durch einen ärztlichen Kollegen in der Notaufnahme vertreten wird. So können Patienten, die mit akuten Beschwerden der Wirbelsäule notfallmäßig in die Hessing Kliniken kommen, bereits in der Notaufnahme von Ärzten mit entsprechender Fachexpertise betreut werden.

mehrbewegen: Sie beide leiten gemeinsam die Notaufnahme der Hessing Kliniken. Worin unterscheiden sich Ihre Aufgaben?

Dr. Herrmann: Unsere Arbeit geht Hand in Hand. Ich kümmere mich um die ärztliche und medizinische Qualität. Dabei stelle ich mit meinen Kollegen sicher, dass die richtige Therapie in der erforderlichen Präzision und Qualität durchgeführt wird. Natürlich haben das ärztliche und das pflegerische Team Berührungspunkte bei der Behandlung unserer Patienten. Zu meinen Aufgaben gehört es auch, strukturelle Vorgaben zu machen. Deren pflegerische Umsetzung liegt komplett bei Herrn Niemann. Für mich ist dabei nur wichtig, dass es passiert und funktioniert.

Niemann: Bei mir liegen die Personaleinsatzplanung sowie die Verantwortung für die Logistik in unserer Notaufnahme. Darunter fallen zum Beispiel das Bestellwesen von Materialien und Medikamenten, aber auch sämtliche organisatorischen Schritte rund um das Geschehen in der Notaufnahme. Außerdem betreue ich natürlich das Team und bringe die Interessen der Mitarbeiter mit denen der Hessing Stiftung in Einklang. Weiterhin trage ich dafür Sorge, dass sich meine Mitarbeiter regelmäßig fortbilden. Einige dieser Fortbildungen halte ich selbst oder ich organisiere sie entsprechend.

mehrbewegen: Im Zusammenhang mit Notaufnahmen hört man immer öfter das Wort Triagierung. Was genau umfasst das und wie geht die Hessing-Notaufnahme damit um?

Niemann: Es gibt international standardisierte Triagierungsprozesse. Das Wort „Triage“ kommt aus dem Französischen und bedeutet „sortieren“. Die Triagealgorithmen werden nahezu weltweit angewandt. Einer davon heißt Emergency Severity Index, kurz „ESI“. Ihn zeichnet aus, dass er in nur wenigen Schritten klar und deutlich aufzeigt, welcher Patient Vorrang hat. In einer modernen Notaufnahme wird nach Dringlichkeit und Fachzugehörigkeit aufgerufen.

Dr. Herrmann: Patienten der Notaufnahme werden nicht in der Reihenfolge behandelt, in der sie zu uns gekommen sind. Vielmehr gibt das Leiden oder die Verletzungsschwere die Reihenfolge vor. Das verlangt von den Patienten im Warteraum immer wieder Verständnis. Bei uns ist es zum Beispiel so, dass Patienten, die vom Notarzt zu uns gebracht werden, einen anderen Eingang in unsere Notaufnahme nutzen. Das heißt: Patienten, die im Wartebereich sitzen, bekommen oft nicht mit, wenn ein schwerer Fall, zum Beispiel ein Schenkelhalsbruch (siehe Beitrag auf S. 12) eingeliefert wird. Dadurch entsteht für sie eine längere Wartezeit, da der ärztliche Kollege und das Pflegepersonal gebunden sind. Der ESI-Algorithmus hilft, anhand objektiver Kriterien die Entscheidung darüber zu treffen, wer zuerst behandelt wird.

mehrbewegen: Welche Patienten kommen, wie in die Notaufnahme der Hessing Kliniken?

Dr. Herrmann: Der Fokus der Behandlung in unserer Notaufnahme liegt klar auf Verletzungen des Bewegungsapparats bzw. akuten Erkrankungen des Skelettapparates. Lebensbedrohliche Verletzungen (z.B. Schädel-Hirn-Trauma, schweres Thorax- oder Abdomina-Trauma) oder akute innere Notfälle, wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Notfälle aus anderen Fachbereichen (z.B. Urologie oder HNO) können, aufgrund fehlender Fachdisziplinen, in den Hessing Kliniken nicht behandelt werden.

Niemann: Prinzipiell gilt, dass unsere Patienten bei Bewusstsein sein müssen, um neurologische oder anderweitige Schäden ausschließen zu können. Sonst müssen sie in ein anderes Krankenhaus gebracht werden. Die Entscheidungsgewalt darüber, in welche Notaufnahme der Patient gebracht wird, tragen die Sanitäter vor Ort. Zwar können Patienten ihren Wunsch äußern, doch die Rettungssanitäter tragen die Verantwortung und haben klare Vorgaben. Eine Notaufnahme lebt von der kompletten Offenheit und einem guten Umgang mit den Notfallsanitätern. Nur so können diese ihrer Aufgabe, der schnellstmöglichen und richtigen Versorgung der Patienten, gerecht werden.

Dr. Herrmann: Unsere Notaufnahme ist per se nicht Teil der offiziellen Notfallversorgung. Wir haben aber entschieden, sie aufrechtzuerhalten, um Personen mit akuten orthopädischen-unfallchirurgischen Beschwerden helfen zu können. Dank unserer Spezialisierung können sich Rettungssanitäter und Patienten darauf verlassen, dass sie bei orthopädischen-unfallchirurgischen Notfällen gut aufgehoben sind. In unsere Notaufnahme gibt es zwei Wege: Entweder bringt der Rettungssanitäter die Person zu uns oder sie ist in der Lage selbst zu fahren bzw. wird von Angehörigen gebracht.

mehrbewegen: Ganz außer Acht lassen wollen wir das Corona-Virus auch im Zusammenhang mit Ihrer Notaufnahme nicht. Wie hat es Ihre Arbeit beeinflusst?

Niemann: Die Sanitäter triagieren aktuell bereits vor der Fahrt zur Klinik, auch im Hinblick auf das Corona-Virus. Patienten, die an Covid-19 erkrankt sein könnten, kommen ins Universitätsklinikum Augsburg und nicht zu uns. Dennoch haben wir natürlich auch unsererseits ein Corona-Protokoll erstellt. Sollte ein Patient zu uns kommen, der - ausgehend von den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes - auffällig ist, gelten auch bei uns höchste Sicherheits- und Hygienevorschriften.

Dr. Herrmann: Das Virus hat den Patientenzulauf und die Art und Häufigkeit der Verletzungen verändert. Zu Beginn der Corona- Phase hatten wir deutlich weniger Bagatellfälle und auch kaum Sportunfälle. Bagatellfälle sind Personen, die schon über einen längeren Zeitraum mit zum Beispiel Schulter- oder Rückenschmerzen zu kämpfen haben und eigentlich keiner akuten Abklärung oder Behandlung der Beschwerden bedürfen. In der mittleren Corona-Phase haben die Sportunfälle deutlich zugenommen. Vor allem Verletzungen, die wir lange nicht gesehen hatten, z.B. sogenannte Inliner-Verletzungen, wurden vermehrt von uns behandelt. Das Spektrum der Freizeit- und Sportunfälle wurde sehr breit. Das lässt sich ganz einfach dadurch erklären, dass viele Menschen aufgrund der Beschränkungen einen Ausgleich suchten und vermehrt Sport trieben. Besonders Unfälle mit dem Fahrrad waren in dieser Zeit gehäuft anzutreffen. Dabei traten Verletzungen des Schultergürtels in den Vordergrund.

mehrbewegen: Was reizt Sie besonders an der Arbeit in der Notaufnahme?

Niemann: Ich komme ursprünglich aus der interdisziplinären Notaufnahme. Dort werden alle Arten von Notfällen, vom Autounfallopfer, Schlaganfall, über gynäkologische Notfälle bis hin zu kleineren Schnittverletzungen, behandelt. Ich wollte mich, nach fast einem viertel Jahrhundert, beruflich verändern, deshalb der Wechsel in die Hessing Kliniken. Die Notfallpflege an sich finde ich total spannend. Jeder Patient und jede Geschichte ist anders. Der Patient kommt mit großem Leid zu uns und nach wenigen schnellen Entscheidungen können wir ihm helfen. Das ist einfach eine erfüllende Aufgabe.

Dr. Herrmann: In der Notaufnahme habe ich die Möglichkeit, den Job als Arzt in der Tiefe seines Sinnes zu erfahren und auszuüben: Es kommt jemand zu uns, der sofort unsere Hilfe braucht. Dieses unmittelbare Helfen, schnell die richtige Behandlung zu finden und den Patienten im Verlauf gesund in den Alltag zu entlassen, ist einfach toll. Ich persönlich spüre die Bedeutung der Medizin, genau in diesen Momenten, in der Notaufnahme ganz besonders.

mehrbewegen: Herr Dr. Herrmann, Herr Niemann, vielen Dank für das Gespräch.



RALF NIEMANN
PFLEGERISCHE LEITUNG DER HESSING-NOTAUFNAHME


DR. MED. OLIVER HERRMANN
CHEFARZT HESSING KLINIK FÜR UNFALLCHIRURGIE